Schüler mit Behinderungen: Je höher der Bildungsgrad, desto weniger Inklusion

In Deutschland sitzen immer öfter behinderte und nicht behinderte Schüler gemeinsam in einer Klasse. Doch eine neue Studie zeigt auch: In der Inklusion sind die Bundesländer unterschiedlich weit - ebenso wie die Schulformen.

Die Schule treibt das Thema Inklusion bereits seit 2006 intensiv voran. Zu dieser Zeit war die Forderung nach gemeinsamem Lernen von behinderten und nichtbehinderten Kindern noch lange nicht in der öffentlichen Diskussion. Erst seit 2009 gilt in Deutschland eine entsprechende Uno-Vereinbarung, wonach kein Kind wegen einer Behinderung von einer Regelschule ausgeschlossen werden soll.

Jüngere lernen von Älteren, Behinderte von Nichtbehinderten - und umgekehrt. Viele Grundschulen und Kitas folgen inzwischen diesem Prinzip, wie eine am Donnerstag vorgestellte Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt: Demnach stieg die Inklusionsquote binnen fünf Jahren bis zum Schuljahr 2013/2014 um über 70 Prozent auf inzwischen 31,4 Prozent: Fast jeder dritte behinderte Schüler besucht also mittlerweile eine Regelschule.

 

Grundschulen weiter als Gymnasien

Dieser positive Trend setzt sich allerdings nicht über alle Bildungsstufen fort. Während bei den Grundschulen bereits 47 Prozent inklusiv unterrichten, ist das Tempo bei Realschulen und Gymnasien ist wesentlich geringer - nur knapp jeder Zehnte der rund 71.400 Schüler mit Förderbedarf in Deutschland besucht eine von diesen beiden Schulformen.

Und auch räumlich gibt es bundesweit deutliche Unterschiede: Während Bremen mit einem Inklusionsanteil von fast 69 Prozent an der Spitze steht, liegt er in Hessen bei gerade mal 21,5 Prozent.

 

Die Rolle der Förderschulen

Eine Kritik an der Studie der Bertelsmann-Stiftung äußert auch Matthias Löb. Der Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe muss einen Spagat bewältigen: Sein Kommunalverband betreibt in Nordrhein-Westfalen 35 Förderschulen, die ausschließlich Schüler mit besonderem Bedarf aufnehmen. Gleichzeitig steigt der gesellschaftliche und politische Druck, die Inklusionsquote an Regelschulen zu steigern.

"Ärgerlich ist an der Studie, dass nur auf die Rückständigkeit verwiesen wird und nicht auf die Erfolge, die wir haben", sagt Löb. Inklusion brauche Zeit. "Es kann nicht alles sofort kommen. Wir reden doch ernsthaft erst seit drei bis vier Jahren über dieses Thema."

Löb fordert neue Denkansätze. Auch in Bezug auf die Förderschule. "Ich frage mich, warum dieses spezielle pädagogische Konzept, bei dem ja in der Regel zwei speziell ausgebildete Fachkräfte mit nur einer Handvoll Schülern arbeiten, in der Diskussion keine Rolle mehr spielt." Löb gibt zu bedenken: "Wir halten die Kinder ja nicht krankhaft bei uns fest. Aber mittlerweile kommt jedes dritte Kind, das bei uns ist, von einer Regelschule zu uns zurück."

 

"Nicht jeder Schüler kann alles leisten"

Der Praktiker fordert eine ehrliche Sichtweise ein. "Nur ein bis drei Prozent der Schüler mit Förderungsbedarf schaffen es auf einen Ausbildungsplatz und bekommen später dann auch einen Arbeitsplatz. Das ist viel zu wenig. Es zeigt aber, dass nicht jeder Schüler alles leisten kann", sagt Matthias Löb.

Die Bertelsmann-Stiftung plädiert für ein größeres finanzielles Engagement der Bundesländer. "Zu oft scheitert gemeinsames Lernen an mangelhafter Infrastruktur und unzureichender Ausbildung der Lehrer", sagt Jörg Dräger vom Stiftungsvorstand. Matthias Löb schlägt in die gleiche Kerbe: "Die Bedingungen, die wir heute an Förderschulen haben, werden wir in den Regelschulen noch nicht in zehn Jahren haben."

Zusammengefasst: Fast jeder dritte behinderte Schüler lernt heute gemeinsam mit nichtbehinderten Klassenkameraden - Tendenz steigend. Kitas und Grundschulen unterrichten dabei deutlich häufiger inklusiv als weiterführende Schulen. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt außerdem, wie unterschiedlich stark die einzelnen Bundesländer die Uno-Konvention der Inklusion umsetzen.

Quelle: spiegel.de

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